Lukas BRAUNENDAL (8b) belegte mit seinem Text im steirischen Philosophie-Essay-Wettbewerb bei 32 ausgewählten Texten aus 23 teilnehmenden Schulen den hervorragenden 4. Platz und konnte sich damit die Teilnahme am österreichischen Bewerb in Salzburg (3.4.-6.4.2016) sichern. In vier Stunden war ein philosophischer Essay zu einem von vier Themen zu schreiben.
Von unserer Schule nahmen Lukas Braunendal (8b) und Fiona Rasser (8b) nach einer Ausscheidung innerhalb der achten Klassen teil. Alle Teilnehmer verfassten sehr überzeugende Essays, kreativ und scharf durchdacht.
Die internationale Philosophie-Olympiade, für die sich maximal zwei österreichische SchülerInnen qualifizieren können, findet heuer im Mai in GENT (Belgien) statt.
Wir gratulieren recht herzlich und wünschen viel Glück für Salzburg!
Mag. Ferstl Ulrike
siehe auch: www.philolympics.at
Der Text zu Zitat 3:
„Selbst die besten Regierungen dürften es als leichter empfinden, unmündige und passive Untertanen statt aktive Bürger zu regieren. Man könnte hier geradezu von institutioneller Faulheit sprechen.“
Susan Neiman: Warum erwachsen werden? Eine philosophische Ermutigung. München: Hanser 2015, S. 45.
Susan Neimans Zitat ruft schnelle, emotionale Zustimmung hervor. Der Versuch, diese Zustimmung in wohl argumentierte Worte zu fassen, führt jedoch rasch zu tiefgehenden Überlegungen zur Politik und ihrer Wahrnehmung in unserer Gesellschaft.
Der Beginn des Zitats führt in seiner Analyse tief: Einerseits legt dieser nahe, dass es für gute Regierungen opportun wäre, besser aktive als unmündige und passive Bürger zu regieren. Andererseits wird unterstellt, dass der umgekehrte Fall eher der Praxis entspreche.
Dass mündige, aktive Bürger letztendlich die bessere Wahl für Regierungen wären, setzt voraus, dass es sich um Regierungen mit einer demokratischen Gesinnung handelt und dass die Berücksichtigung der Meinungen der Bürger für das Regieren selbst von Vorteil wäre. Dies geht über den schlichten demokratischen Anspruch „die Mehrheit hat recht“ hinaus. Denn die Mehrheit hat womöglich erst dann recht, wenn ihre Meinungsbildung auf Mündigkeit und aktiver Beteiligung am politischen Prozess beruht.
Das Ende des Zitats weist die Regierenden selbst eindringlich darauf hin, dass jedes andere Vorgehen auf Faulheit beruht. Im Umkehrschluss: So zu regieren, dass der politische Prozess aktive und mündige Bürger nicht nur ermöglicht sondern auch aktiv hervorruft, bedarf es des Gegenteils von Faulheit – also Bemühen und Fleiß. Diesen Aufwand zu betreiben setzt wiederum voraus, dass die Regierenden der Überzeugung sind, erst durch den Beitrag der Bürger gut beziehungsweise bessere Entscheidungen treffen zu können und das wiederum benötigt die selbstreflektierende Einsicht, selbst fehlbar zu sein und ohne den Beitrag der Bürger möglicherweise falsche Entscheidungen zu treffen.
Diese Ebene der Einsicht ist allerdings nur dann zu erwarten – oder aus Sicht des Bürgers zu erhoffen– wenn das Treffen richtiger Entscheidungen überhaupt die Intention der Regierenden ist. Denn genauso könnte es ja der Erhalt der eigenen Stellung oder das Vorantreiben des eigenen Vorteils sein.
Zusätzlich verweist der zweite Satz aber auch darauf, dass in der Politik nicht nur Kategorien des tatsächlich politischen Diskurses eine Rolle spielen. Denn Faulheit ist eher ein Charakterzug als eine politische Dimension: Dieser führt zum Nachdenken darüber, inwieweit persönliche Eigenschaften in das Wesen der Politik eingreifen: Politische Führungspositionen (um nichts anderes handelt es sich ja bei Regierungen) zu übernehmen setzt das Ausüben von Macht und Treffen von Entscheidungen voraus. Demokratische Prozesse, welche die Einbeziehung von aktiven und mündigen Bürgern bedeuten, haben zwangsläufig eine Verlangsamung der Entscheidungsprozesse und eine Infragestellung der potenziellen eigenen Entscheidungen zur Folge. Demokratie ist folglich ein zeitraubendes Geschäft, da Entscheidungen deutlich verlangsamt getroffen werden müssen. Politiker mit Tatendrang, die etwas verändern und bewirken wollen, können sich dadurch schon ab und zu gebremst fühlen.
Um diesen persönlichen und emotionalen Zugängen der politischen Entscheidungsträger entgegenzuwirken und um das politische Prozedere nicht den zufälligen Qualitäten der Entscheidungsträger zu überlassen, gibt es Verfassungen, die Rahmenbedingungen vorgeben und Machtverhältnisse ordnen.
Die österreichische Demokratie beispielsweise ist verfassungsmäßig als repräsentative Demokratie geregelt. Dies bedeutet nichts anderes, als den Beitrag der aktiven und mündigen Bürger prinzipiell auf den Akt des Wählens zu beschränken: Wir wählen auf Basis von Parteiprogrammen, vorgestellten Ideen, Einschätzungen aktueller Situationen und nicht zuletzt auf Basis der Sympathie von Persönlichkeiten Repräsentanten, die in der Folge ganz ohne substanzielle Beiträge der Bürger regieren können. Das einzige Korrektiv liegt im Anstreben der Wiederwahl – wobei unmündige, passive Bürger für die Wiederwahl ganz andere Kriterien anlegen als mündige, aktive Bürger: Denn nicht die tatsächliche Qualität der getroffenen Entscheidungen bildet die Grundlage der potenziellen Wiederwahl, sondern ein wesentlich dumpferes Bauchgefühl.
Ein anderes Modell wäre jenes der direkten Demokratie, in dem jede einzelne Entscheidung durch einen demokratischen Prozess legitimiert werden müsste. Dies erhöht jedoch zum Einen den Kommunikations- und Informationsaufwand der Regierung und ihrer Opposition, zum Anderen verlangsamt es aber auch zwangsläufig jeden Entscheidungsprozess. Dies führt wiederum zur Frage, ob tatsächlich immer die richtigeren Entscheidungen auch die besseren sind oder ob von Fall zu Fall die Qualität von Entscheidungen nicht einfach darin liegt, rasch getroffen zu werden. Vielleicht sind manchmal schlechte Entscheidungen zur rechten Zeit besser als bessere Entscheidungen zur falschen Zeit.
Susan Neimans Zitat und die bisherigen Überlegungen zu dessen Inhalten führen aber auch zum Thema der Eigenverantwortung des Bürgers: Wenn wir begreifen, dass politische Macht nahezu zwangsläufig dazu führt, den Bürger lieber unwissend und passiv zu halten, wenn wir weiters davon überzeugt sind, dass von einer qualifizierten Mehrheit getroffene oder zumindest herbeigeführte Entscheidungen im Mehrheitsfall die besseren sind, dann wird uns bewusst, warum es an uns Bürgern selbst liegt, uns für Politik zu interessieren und uns zu ihren Themen eine Meinung zu bilden oder gar die Einbeziehung unserer Meinungen von der Politik aktiv einzufordern.
Die Beziehung zwischen Menschen – auch die zwischen Bürgern und ihren Regierungen – ist nie ein einmal erreichter und dann festzuschreibender Status, sondern immer in Bewegung und veränderlich. Wenn wir von Regierenden verlangen, als Bürger gehört zu werden, wenn wir verlangen, dass unsere Meinungen ihre Entscheidungsprozesse beeinflussen, dann müssen wir auch die Grundlagen unserer eigenen Meinungen laufend hinterfragen. Wenn wir behaupten, dass die von uns gewählten Regierenden nicht immer recht haben, dann müssen wir uns auch laufend fragen, ob wir selbst recht haben. Wenn wir verlangen, dass Regierende entgegen ihrer eigenen Einschätzung der Mehrheitsmeinung der Bürger folgen, dann müssen auch wir unsere eigenen Einschätzungen in Frage stellen und sie der Mehrheitsmeinung unterordnen.
Daraus folgt, dass demokratisch herbeigeführte Entscheidungen nicht zwangsläufig die besseren sind, dass aber immerhin die Wahrscheinlichkeit besteht, dass mehr richtige Entscheidungen getroffen werden als ohne demokratische Prozesse. Oder, um Winston Churchill zu zitieren:
„Democracy is the worst form of government except for all those others that have been tried." (Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen derer, die schon ausprobiert wurden.)